LG Berlin, Urteil vom 01.07.2022 – 66 S 200/21

Zum Sachverhalt:

Der Kläger begehrt von dem beklagten Mieter Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung wegen Zahlungsverzugs. Er hat eine außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund gestützt auf Zahlungsverzug gem. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB sowie eine ordentliche Kündigung gestützt auf Zahlungsverzug gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgesprochen. Der Beklagte hat fristgemäß die Schonfristzahlung gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB geleistet, sodass die fristlose Kündigung unstrittig unwirksam geworden ist. Das Amtsgericht war der Auffassung, dass die Schonfristzahlung auch zum Unwirksamwerden der ordentlichen Kündigung geführt hat. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers mit Hinweis auf die Entscheidung des BGH vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20.

Zur Entscheidung:

Das LG Berlin folgt – entgegen der Entscheidung des BGH zu einem gleich gelagerten Sachverhalt – der Ansicht des AG, wonach auch die ordentliche Kündigung ebenfalls mit Schonfristzahlung unwirksam wird. Es führt hierzu aus:

„Der Kläger hegt die Erwartung, die eingeschränkten Wirkungen einer Schonfristzahlung seien im Ergebnis zugunsten seines Standpunktes vom Bundesgerichtshof “mehrfach geklärt” worden, weshalb das vorliegende Verfahren nicht ohne offenkundigen Rechtsverstoß zu einem anderen Ergebnis führen könne. So verständlich diese Erwartung aus der Sicht eines juristischen Laien erscheinen kann, entspricht sie nicht dem geltenden Rechtssystem. Zu der streitgegenständlichen Frage sind unterschiedliche Auffassungen begründbar, die im Rahmen der Anwendung des Gesetzes miteinander konkurrieren. Die Gerichte sind im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit berechtigt und nach den Maßgaben des von allen Richtern geleisteten Richtereides verpflichtet, die Antwort auf Rechtsfragen auf der Grundlage der Verfassung und der Gesetze “…nach bestem Wissen und Gewissen…” zu geben (vgl. die Eidesformel in § 38 Abs. 1 DRiG; insoweit gleichlautend § 2 Abs. 1 RiGBln). Die so beschriebene Pflicht, der eigenen – bestmöglich und gewissenhaft gebildeten – Überzeugung zu folgen, wird grundsätzlich nicht durch Entscheidungen und Auffassungen anderer Gerichte im Instanzenzug begrenzt.“

Nachfolgend legt das LG breit ausgeführt anhand der juristischen Auslegungsmethoden dar, warum es der vom BGH abweichenden Auffassung folgt. Die Wiedergabe dessen ersparen wir uns an dieser Stelle.

Anmerkung:

Da dies nicht der einzige Streit in mietrechtlichen Angelegenheiten zwischen dem LG Berlin und dem BGH ist (es ist an dieser Stelle auf die Rechtsprechung des BGH und des LG Berlin zur Mietminderung wegen Baustellenlärms zu verweisen, die hier bereits besprochen wurde), wird es wohl auch hierbei erneut zu einer Entscheidung des BGH kommen. Ungeachtet der Entscheidung des LG sollte in jedem Fall bei einer Kündigung gestützt auf Zahlungsverzug neben der außerordentlichen fristlosen Kündigung auch eine ordentliche Kündigung ausgesprochen werden. Diese sollte auch weiterhin, insbesondere außerhalb des Landgerichtsbezirks des LG Berlin, gerichtlich verfolgt werden. Im Zweifel steht der – wenn zugegebenermaßen langwierige – Weg zum BGH offen.